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Bildung
26. Mai 2023

Startchancen in den Beruf nochmals verschlechtert

PK Ausbildung
Dr. Volker schmidt (v.r.), Floyd Janning und Olaf Brandes erläutern in einer Pressekonferenz die Ergebnisse der Umfrage zur Ausbildungssituation. Foto: Herzig

Mittelständische Unternehmen in Niedersachsen haben zunehmend Schwierigkeiten, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Im April dieses Jahres waren 30.000 Ausbildungsplätze als offen gemeldet, diesen standen jedoch nur 21.000 unversorgte Bewerber gegenüber. Wie eine jüngst von 14 Arbeitgeberverbänden und der Stiftung NiedersachsenMetall durchgeführte Blitzumfrage unter 620 mittelständischen Unternehmen zeigt, bieten fast alle befragten Betriebe (95%) ausreichend Ausbildungsplätze an. Dabei stellt sich heraus, dass nicht immer ein Abitur Voraussetzung für einen Ausbildungsplatz ist, vielmehr umfasst das Angebot sogar deutlich mehr Stellen, für die ein Real- oder gar Hauptschulabschluss ausreichend ist.

Die Ergebnisse der Umfrage widersprechen jüngst erhobenen Behauptungen, wonach immer weniger Unternehmen ausbildeten und für diese Plätze fast immer höherwertige Bildungsabschlüsse bevorzugt würden, weshalb viele junge Menschen ohne Ausbildung blieben. „Das Gegenteil ist der Fall. Die Unternehmen sind im eigenen Interesse sehr engagiert und aufgeschlossen bei der Einstellung von  Nachwuchskräften“, sagt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände. Als wirklich nachhaltiges Problem erweise sich aber, dass seit etwa zehn Jahren das Bildungsnivenau der Schüler in Deutschland im Trend deutlich nach unten zeige und dieser Abwärtstrend durch Corona zuletzt noch einmal kräftig verstärkt wurde. „Was Kompetenzniveau und Chancengleichzeit betrifft, schlittern wir sehenden Auges in eine langanhaltende Krise,“ sagt Schmidt.

Darüber hinaus habe Corona die Defizite in der digitalen Infrastruktur der Bildungseinrichtungen in Deutschland deutlich zu Tage befördert. „Die Pandemie-Bekämpfung schränkte aber auch die Möglichkeiten der Berufsorientierung drastisch ein. Corona hat die bestehenden Disparitäten im Bildungssystem noch einmal verstärkt“, so Schmidt. Denn schon jetzt sei klar, dass vor allem Jugendliche von den Folgen der Pandemie-Bekämpfung betroffen seien, deren Teilhabechancen schon davor nicht zum Besten gestanden hatten. Schmidt: „Das gesamte Pandemie-Management im Schulbereich setzte auf Maßnahmen, die im Grunde genommen auf gutsituierte Familien zugeschnitten waren, mit Eltern, die über eine gute Bildung und hohe Einkommen verfügen. Nicht aber auf diejenigen, die ohnehin bereits hinten dran waren.“ Schmidt sprach in diesem Zusammenhang von einer „Corona-Generation“, die im Zuge der Pandemie entstanden sei. „Dies alles fällt Wirtschaft und Gesellschaft heute mit Wucht auf die Füße und wird uns auf Jahre belasten“, so Schmidt.

Olaf Brandes, Geschäftsführer der Stiftung NiedersachsenMetall, ergänzte: „Das Problem liegt nicht in der Quantität der Plätze, sondern vielmehr in der Qualität der Bewerber“. Noch deutlicher als in den Vorjahren bemängelten die Unternehmen der Umfrage zufolge fehlende Kompetenzen bei den Bewerbern. Fast drei Viertel der Betriebe klagten, dass die Qualität der Bewerbungen weiter abnehme.

Kompetenzen in MINT-Fächern sinken deutlich

Nach Auffassung von Schmidt sei der Verlust an Qualifikationen vor allem im MINT-Bereich deutlich bemerkbar: „Auch die Ergebnisse unserer Umfragen bestätigen, dass die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern insbesondere in Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern deutlich zurückgegangen sind – Fächer, die aber für die Fachkräftesicherung bei MINT extrem wichtig sind und mithin für die Sicherung nachhaltigen Wohlstands in der Industrienation Deutschland.“ Schmidt wies darauf hin, dass gerade in diesen Fächern berufliche Orientierung auch aus unmittelbaren Erfahrungen mit der betrieblichen Praxis und aus persönlichen Begegnungen mit Auszubildenden, etwa in Praktika erwachse. Schmidt: „Dies alles ist im Zuge der Pandemie-Bekämpfung weitgehend zum Erliegen gekommen.“ Folglich herrsche unter vielen Jugendlichen eine tiefe Verunsicherung und Orientierungslosigkeit, die aus zu wenig Informationen resultiere.

Schmidt erkennt positiv an, dass die Bundesregierung in ihrem jüngsten Gesetzentwurf zur Stärkung der Aus- und Weiterbildung Abstand von dem Vorhaben nimmt, eine Ausbildungsgarantie durch eine branchenübergreifende Umlage von den Betrieben finanzieren zu lassen.

Abitur für mehr als die Hälfte der Plätze keine zwingende Voraussetzung

Der Schulabschluss spielt hingegen bei der Vergabe der Ausbildungsplätze nur eine untergeordnete Rolle, wie die Ergebnisse der Umfrage zeigen. Nur für wenige Betriebe ist das Abitur auf einzelnen Stellen eine Voraussetzung. Zwei Drittel der Unternehmen bieten sogar keine Ausbildungsstellen an, für die ein Abitur Pflicht ist. Und 60 Prozent der Unternehmen gaben an, offene Ausbildungsplätze zu haben, für die ein Hauptschulabschluss ausreichend ist. „Man kann also keineswegs sagen, dass Abiturienten den Bewerbern mit geringeren Abschlüssen die Ausbildungsplätze wegnehmen“, sagt Brandes.

Bei der Sprache als Zugangsvoraussetzung ist die Situation etwas differenzierter. 60 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass Kenntnisse der deutschen Sprache bei ihnen eine Grundvoraussetzung darstellten. Allerdings müssten diese nicht perfekt sein. Auch für Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund und eingeschränkten Sprachkenntnissen gebe es viele Ausbildungschancen. „Wichtig ist, dass die Auszubildenden die Anweisungen und Aufgabenstellungen im Betrieb verstehen und dem Unterricht in der Berufsschule folgen könnten“, sagt Brandes. „Deshalb muss schon beim Schulabschluss sichergestellt sein, dass die Absolventen ein ausreichendes Sprachniveau besitzen.“

Mehr praxisnaher Unterricht

Schmidt erinnert daran, dass die berufliche Orientierung die elementare Aufgabe habe, Jugendlichen die notwendigen theoretischen Kenntnisse wie auch die praktischen Erfahrungen zu vermitteln, die sie befähigen, eine vernünftige Berufswahl zu treffen. „Wenn es um den Erwerb berufsrelevanter Kenntnisse und Fähigkeiten geht, dann benötigen Jugendliche hierfür Zeit und die Möglichkeit, sich intensiv mit ihrem künftigen beruflichen Weg auseinanderzusetzen.“ Dafür brauche es aber auch einen praxisnahen Unterricht, gute Lehrkräfte und vor allem Schulen, die über hinreichende Sachausstattung verfügten. Schmidt wies darauf hin, dass auch der Einsatz von Mentoren, insbesondere für Jugendliche mit Lernrückständen, geprüft werden müsse. Schmidt: „Mentoren, auch studentische Mentoren, können als Vorbilder fungieren, sie können die Vermittlung von Lernstoff erleichtern und Jugendliche durch Lernerfolge in ihrem Selbstbewusstsein stärken.“

Auch Floyd Janning, Geschäftsführer der Sonnentaler GmbH, kritisiert, dass Schülerinnen und Schülern in den Schulen zu wenig an wirklicher Praxis geboten werde. „Die Kinder und Jugendlichen müssen sich ausprobieren und viel mehr an handwerkliche Berufe und Ausbildungsberufe herangeführt werden. Dort bewegt man wirklich was und hat, wie bei uns, eine Aufgabe, die tatkräftig die Energiewende vorantreibt und das Klima rettet", sagt Janning, dessen Firma Solartechnik herstellt. Doch die Unternehmen hätten zunehmend Schwierigkeiten, Jugendliche auf sich aufmerksam zu machen. „Wir erreichen die richtigen Personen immer weniger, weil zu viele Plattformen und zu viele Anbieter von Jobbörsen im Weg sind, die den Profit an dem Fachkräftemangel ausnutzen wollen“, sagt Janning. Er fordert deshalb: „Wir brauchen einheitliche und überregionale staatliche Plattformen, die alle miteinander verbinden. Wir müssen hier unsere Vernetzung besser nutzen." Darüber hinaus verschwänden gute Fachkräfte für Jahre auf Universitäten oder im Ausland, weil das  Handwerk gesellschaftlich nicht attraktiv genug sei. „Und das, obwohl seit Jahren die Aufstiegschancen für Eigengewächse zunehmen. Die Gehälter sind im Handwerk extrem gestiegen und selbst Ungelernte verdienen mittlerweile mehr als Studierte."

Schmidt warf die Frage auf, wie man dem steigenden Akademisierungstrend begegnen könne. „Wir wissen alle, dass nicht jeder Abiturient für ein Studium gemacht ist“, kritisiert Schmidt. Ein Weg sei, verstärkt für die Ausbildung zu werben und deutlich zu machen, dass eine klassische berufliche Qualifizierung mindestens genauso viele Vorzüge habe wie ein akademisches Studium. Darüber hinaus regte Schmidt an, über eine Neuausrichtung der beruflichen Orientierung für Jugendliche nachzudenken und das Spektrum der gegenwärtigen Ausbildungsberufe den veränderten Anforderungen, die Dekarbonisierung und Digitalisierung der Wirtschaft stellten, zu erweitern.

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